Ist Marienverehrung biblisch?

■ (Teil 2) Wie wir im ersten Teil dieser Ausführungen bereits gesehen haben, erfreut sich die Muttergottes einer ganz besonderen Stellung innerhalb der christlichen Offenbarungsreligion. Nicht nur begrüßen wir sie täglich zu wiederholten Malen mit den im göttlichen Auftrag gesprochenen Worten des hl. Erzengels Gabriel als “voll der Gnade, der Herr ist mit dir”, sondern flehen sie in diesem von uns häufig gebeteten “Gegrüßet seist du, Maria” inständig an, für uns im Himmel wirksame Fürsprache vor ihrem göttlichen Sohn Jesus Christus einzulegen: “Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns, Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.”
Zwar kann man angesichts der bereits angesprochenen biblischen Zeugnisse über die Würde und Stellung Marias, der gebenedeiten Mutter Jesu, im Heilsplan Gottes überhaupt nicht verstehen, warum sich viele Protestanten - und hier vor allem die so genannten evangelikalen Kreise - kategorisch weigern, Maria den ihr gebührenden Platz zuzugestehen, dies aber ändert dennoch nichts an der Tatsache, dass sie sich für alle, die sie ehrlichen und suchenden Herzens in den eigenen Anliegen anrufen, als eine wirksame Fürsprecherin und Gnadenvermittlerin erweist.
■ Es gibt im Evangelium eine weitere Stelle, in welcher wunderbar und ergreifend das Edle und Erhabene der Grundhaltung der hl. Jungfrau Maria dem Herrgott gegenüber zum Vorschein kommt. Hier lässt sich in ihren eigenen Worten besonders deutlich die Tiefe ihres felsenfesten Glaubens an, ihrer lebendigen Hoffnung auf und ihrer flammenden Liebe zu Gott erahnen. Sie legt an dieser Stelle ein wunderbares Zeugnis ihrer grundsätzlichen Glaubenshaltung ab und regt auf diese Weise auch einen jeden Menschen, der sich unvoreingenommen ihre Worte zu Gemüte führt, ebenfalls zum Nachahmen ihrer ganzheitlichen Hingabe an Gott an!
Hierbei handelt es sich um die Szene der Heimsuchung Mariä, als sie nämlich ihre Base Elisabeth aufsuchte (vgl. Lk 1,39-56). So lesen wir im Lukasevangelium, wie sich Maria aufmachte und “eilends in das Gebirge nach einer Stadt in Juda ging. Sie trat in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Sobald Elisabeth den Gruß Marias vernahm, frohlockte das Kind in ihrem Schoß, und Elisabeth wurde von Heiligem Geist erfüllt.”
Es ist höchst bemerkenswert festzustellen, dass hier gesagt wird, sowohl das Kind Elisabeths “frohlockte” in ihrem Schoß als auch wurde Elisabeth selbst “vom Heiligen Geist erfüllt”, als bzw. sobald sie nämlich “den Gruß Marias vernahm”! Somit erscheint das Grußwort Mariens sowohl der Auslöser für die große Jubelfreude (denn das drückt nämlich das Wort “frohlocken” aus) des hl. Johannes des Täufers im Schoß seiner Mutter zu sein als auch dient es offensichtlich der Vermittlung bzw. Mitteilung des Heiligen Geistes an Elisabeth. Wie der Heilige Geist zuvor bereits über Maria selbst gekommen ist und “die Kraft des Allerhöchsten” sie “überschattet” hatte (vgl. Lk 1,35), so dass sie Jesus in ihrem Leib empfangen hatte, so ist sie nun auf eine solche Art und Weise zu einem reinen Gefäß bzw. zur lauteren Trägerin des Heiligen Geistes geworden, dass sie ungetrübt und unvermindert das ungeschaffene Licht Gottes an die Menschen in ihrer Umgebung durchstrahlen lässt bzw. sie allein schon durch ihre bloße Anwesenheit mit diesem Heiligen Geist geradezu “ansteckt”!
Bereits an dieser Stelle der hl. Schrift erkennen wir, von welcher großen Tiefe der Gottesbeziehung Maria erfüllt gewesen sein muss, welche kostbaren Reichtümer der intensivsten Liebe zu Gott zu ihren eigenen zählten! Und wie die katholische Kirche Maria unter anderem auch als die “Braut des Heiligen Geistes” verehrt, so wollen auch wir sie inständig bitten, uns diesen Geist des Vaters und des Sohnes, den “Herrn und Lebensspender” (Credo der hl. Messe) zu schenken und zu vermitteln!
Elisabeth “rief mit lauter Stimme aus: ‘Du bist die Gebenedeite unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes! Woher wird mir die Gnade, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, sobald dein Gruß an mein Ohr klang, frohlockte das Kind vor Freude in meinem Schoß. Selig bist du, da du geglaubt hast, dass in Erfüllung gehen wird, was dir vom Herrn verkündet worden ist.’”
Elisabeth ist sich der Kraft und der Gnade Gottes, die ihr durch das Grußwort Mariens zuteil wurde, sehr wohl bewusst, weswegen sie dann voll innerer Ergriffenheit “mit lauter Stimme” ausruft, Maria sei “die Gebenedeite”, die am meisten selige und gesegnete unter allen weiblichen menschlichen Geschöpfen. Im folgenden lobt und preist Elisabeth natürlich vor allem auch das Kind Mariens, welchem diese ja das Leben schenkt und welches sie gebären soll. Elisabeth weiß, dass Maria eine ganz besondere und in bestimmter Hinsicht einmalige Person im Heilsplan Gottes ist, und wundert sich eben in aller ehrlichen Aufrichtigkeit, dass ihr überhaupt die “Gnade” beschieden wurde, “die Mutter meines Herrn” in ihrem bescheidenen Heim willkommen heißen zu dürfen. Für sie persönlich ist dies jedenfalls eine ganz besondere Auszeichnung - sie ist sich dessen voll und ganz bewusst!
Den eigentlichen Grund für diese besondere Stellung Mariens sieht Elisabeth im selbstlosen und ganzheitlichen Einwilligen Mariens in den heiligen Willen Gottes, als ihr nämlich der Erzengel Gabriel im Auftrag Gottes die Kunde gebracht hatte, sie soll die Mutter des Erlösers werden: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort” (Lk 1,38). Elisabeth kannte Maria und wusste somit offensichtlich bestens, dass die Zustimmung Mariens zu dem an sie ganz konkret ergangenen Ruf Gottes weder Ausdruck ihres etwaigen Stolzes noch des eventuellen Strebens nach Macht und Einfluss war (was bei so manchen Menschenkindern wohl der Fall gewesen wäre!), sondern nur durch ihre tiefe Demut vor Gott und die selbstverleugnende Bereitschaft, Ihm gehorsam zu dienen, zu erklären war!
Warum wollen denn so viele Protestanten dieses edle Bekenntnis Elisabeths von der inneren Größe Mariens und ihrem außergewöhnlichen Beispiel des Glaubens und des Gottvertrauens offensichtlich nicht hinreichend zur Kenntnis nehmen bzw. Maria auf eine ähnliche Weise seligpreisen wie es Elisabeth macht? Es sind doch dies alles lauter biblische Stellen! Dürfen wir denn die göttlich inspirierten Schriften missachten bzw. ihnen sogar bewusst widerstehen?
■ Und was jetzt folgt, ist der reinste und edelste Lobgesang Gottes, welcher je von einem menschlichen Geschöpf verfasst worden ist; der seligste und am meisten beglückende Jubelgesang, welcher je ein menschliches Herz erfüllt hatte; höchste Poesie, welche je ein menschlicher Mund zum Lobpreis Gottes formen konnte! Denn nur als solches sind nämlich die folgenden Worte Mariens einzustufen, welche wir nun im Lukasevangelium im so genannten Magnificat-Gesang der Muttergottes vorfinden.
“Da sprach Maria: ‘Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland!’” Maria wurde, wie wir gerade vorhin vernommen haben, von Elisabeth mit solchen (sehr wohl zutreffenden) lobenden Worten überhäuft, die ihr ja zur größten Ehre gereichen, sie aber hält sich in ihrer persönlichen Bescheidenheit überhaupt nicht dabei auf, sondern lenkt ihre und nun auch unsere Aufmerksamkeit direkt und ohne irgendwelche Umschweife auf Gott, die Quelle allen Heils! Nicht sie will im Mittelpunkt stehen - obwohl sie ja den lobenden Worten ihrer Cousine bezeichnenderweise nicht widerspricht. Nein, sie verweist wie selbstverständlich sofort auf “den Herrn”. Um Ihn geht es ja schlussendlich, Er ist ja der “Heiland”, der das wahre und ewige Heil ist und es in Seiner unbegreiflichen Freigebigkeit an die Menschenkinder verschenken möchte!
Man beachte dabei auch die folgende Wortwahl: Marias Seele “hoch preist” ihren Gott, “den Herrn”, was sowohl Ausdruck ihrer gänzlichen Hingabe an den Schöpfer als auch ihrer aufrichtigsten Anbetung Gottes als der höchsten moralischen Instanz ist. Sie “hebt” Ihn in ihrem Leben über alle Geschöpfe “hoch” und “macht” Ihn gewissermaßen “groß”, um die genaue Aussage des entsprechend verwendeten lateinischen Verbs (“magnificat”) zu treffen.
Die geradezu feierliche (und alles andere als lediglich nüchterne und bloß sachliche) Formulierung “hoch preist meine Seele...” lässt uns ebenfalls erahnen, von welchen zutiefst edlen, über allen Zweifel erhabenen, ja sogar verklärten Emotionen das Herz Mariens in ihrer Beziehung zum Herrgott erfüllt gewesen sein muss! Da ist nichts gespielt oder gestellt, sondern alles echt, rein und uneigennützig.
Ihr Geist “frohlockt”, jubelt, bricht in echte und ehrliche Freude aus ob der seligen und zutiefst beseligenden Gegenwart Gottes, die sie in ihrem Leben offensichtlich ganz intensiv erleben musste bzw. durfte! Welch eine innige Verbundenheit bzw. seelische Verwandtschaft, die sich durch ihre gläubige Hingabe an Ihn zwischen ihrer Seele und Ihm offenkundig herstellen ließ. Denn sonst wäre sie einfach nicht fähig gewesen, solche wunderbaren Worte der Anbetung und des Lobpreises Gottes zu formulieren.
Welch eine zutiefst inspirierende, uns zu einer ähnlichen Gesinnung anspornende und auch die Wunden unserer Seelen heilende Freude spricht da aus ihrem Mund! Nicht Zwang und Pflicht sind letztendlich ihre eigentlichen Beweggründe im Leben mit Gott, sondern eine solche Freude und Liebe, die in Ihm ihre eigentliche Quelle haben, die Ihm ganz nahe kommen lässt, die alle irdischen Hindernisse überwindet und die Seele eines Menschen zu einem wahren Tempel der göttlichen Gegenwart erhebt!
Was für ein tiefes und wunderbares Lied hat hier die hl. Jungfrau angestimmt! Wie sehr wird davon eine jede Seele bewegt, die Gott aufrichtig sucht, und auf ihrem Pilgerweg zum himmlischen Vaterhaus von wahrer und echter Tugend angeleitet und begleitet! Halten wir inne und betrachten wir die übernatürliche Schönheit der Gottesbeziehung Mariens!
Und wie unklug, ja sogar unvernünftig muss es denn sein, ein solches Beispiel des felsenfesten Glaubens, der lebendigsten Hoffnung und der brennenden Liebe außer Acht zu lassen, ein solches Vorbild im Streben nach wahrer christlicher Vollkommenheit zu ignorieren - das marianische Glaubensideal nicht erkennen und ihm nicht ausdrücklich nacheifern zu wollen!?
“Denn herabgesehen hat Er in Gnaden auf seine niedrige Magd. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter!” Maria ignoriert nicht, dass auch ihr ein bestimmter Platz im Heilsplan Gottes zugewiesen wurde. Aber das Wesentliche daran besteht in ihren Augen zunächst darin, dass nicht sie zuerst etwas geleistet und sich deswegen etwa auf die eigenen Schultern zu klopfen habe. Nein, sie bekennt freimütig und unmissverständlich, dass ihr ganzes Geheimnis letzten Endes in der Tatsache besteht, dass zunächst Gott in Erscheinung trat und eben auf sie “in Gnaden herabgesehen hat”! Gott ist groß, gnädig und barmherzig, sich selbst hält sie für klein und hilfsbedürftig - sie sei ja lediglich Seine “niedrige Magd”.
Welch eine ergreifende Tiefe der Demut und klare Aufrichtigkeit der Selbstbescheidenheit, die allein den Weg zu Gott bereiten und somit die Pforte zum Himmel öffnen! Ihm will Maria alles Wertvolle und Entscheidende zuschreiben, nicht sich selbst. Er schaut ja auf uns “in Gnaden” herab - der Mensch besitzt mitnichten irgendeine Urheberschaft am göttlichen Heil. Wenn man also an dieser Stelle erkennt, wie sehr Maria frei war von allem sündhaften Stolz und der uns, den Menschen, sonst häufig innewohnenden trügerischen Selbstüberschätzung und -täuschung, muss man denn dann nicht vor lauter Ergriffenheit für eine Weile eigentlich richtig innehalten und sowohl die Erhabenheit und Güte Gottes auf der einen als auch die kaum zu übertreffende Demut Mariens auf der anderen Seite in einem intensiven betrachtenden Gebet bewundern? Angesichts solcher Erkenntnisse (welche ja eindeutig auf dem Text der hl. Schrift beruhen!) wäre es ja geradezu absurd zu behaupten, Maria führe uns von Jesus weg!
Das Großartige und Echte an der Haltung Mariens besteht unter anderem auch darin, dass sie keine falsche Demut besaß, indem sie die offensichtlichen Realitäten etwa nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hätte. Sie erkannte sehr wohl, dass ihr durch die ihr von Gott geschenkten Gnaden ein ganz außergewöhnlicher, ja einmaliger Platz in der Heilsgeschichte zugewiesen wird. Sie wusste sehr wohl um ihre Privilegierung, denn außer ihr konnte ja keine weitere Frau mehr die Gnade erhalten, die Mutter des göttlichen Erlösers zu werden. Daher war sie sich auch voll der Tatsache bewusst, dass sie nun von “allen Geschlechtern” “selig” gepriesen werde! Welch eine enorme menschliche Reife bzw. welch ein ergreifender Realitätssinn, welche Maria bereits in ihrem damaligen zarten Alter (von ungefähr 14-15 Jahren) eigen genannt werden dürfen!
Aber wiederum schreibt sie sich da nichts egozentrisch und ruhmsüchtig zu, sondern bekennt ganz unmissverständlich: “Großes hat an mir getan der Mächtige, heilig ist Sein Name”. Ja, sie wird der Welt den Erlöser gebären, aber dieses gewaltige Privileg ihrer Gottesmutterschaft sei ja nur der Tatsache zu verdanken, dass zunächst Gott, zu dessen Eigenschaften ja auch die Allmacht gehört, “Großes” an ihr “getan”, ihr eben eine große und gewaltige Gnade erwiesen hat! Um Ihn soll sich ihrer innersten Überzeugung nach alles drehen, denn “heilig ist Sein Name”. Somit unterstreicht sie noch einmal, wer ob Seiner moralischen Erhabenheit und sittlichen Vollkommenheit als die höchste und eigentliche Instanz des Gewissens anerkannt werden darf, wem wir den Gehorsam unseres Herzens schulden!
“Sein Erbarmen währt von Geschlecht zu Geschlecht für die, die Ihn fürchten.” Diese Heiligkeit Gottes offenbart sich wesentlich auch darin, dass Er Sein Ohr jedem Menschen zuwendet, der Ihn aufrichtig sucht, und letztendlich eben kein ehrlich gesprochenes Gebet unerhört lässt. Somit kann über alle Zeiten und Generationen hindurch jedes menschliche Herz, welches sich ernsthaft in Ehrfurcht vor Ihm verneigt, bei Ihm reiche Gnade und göttliches Erbarmen finden. Wer von uns konnte sich denn in jungen Jahren für gereift halten, solche tiefe Erkenntnisse zu vollziehen? Und wer wäre denn so anmaßend zu behaupten, er fühlte sich wenigstens im höheren Alter dem tiefen Glauben und dem reichen Geist Mariens gewachsen?
Umso mehr muss dies gefragt werden, wenn man die folgenden Feststellungen der hl. Jungfrau, welche ja von Weisheit geradezu überquellen, zur Kenntnis nimmt: “Machtvoll waltet Sein Arm, Er verwirft die Herzen voll Hochmut. Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt Er empor. Hungrige erfüllt Er mit Gütern, Reiche lässt Er leer ausgehen.” Gott schaut nach dem Rechten und sorgt für Ordnung, indem Er nämlich konsequent und nachhaltig ein jedes hochmütige Herz abweist, da dieses sich ja durch den eigenen Stolz zuvor selbst für Ihn verweigert und Ihn aus seiner Mitte ausgeschlossen hat. Mag der Machtgedanke und die Meinung, Einfluss zu haben, bei den irdisch gesinnten Menschen noch so oft mit viel Gewalt, Ungerechtigkeit und Verlogenheit einhergehen - bei Gott kommt man damit auf keinen Fall durch! Er ist unbestechlich und lässt sich unter keinen Umständen von irgendeiner sündhaften List austricksen.
Die, die meinen, letztendlich auf Macht (ohne Gerechtigkeit) setzen zu müssen und daher eben durch ungerechte Gewalt “glänzen”, werden sich vor Ihm sittlich niemals bewähren können - sie erleiden in moralischer Hinsicht immer einen gewaltigen Sturz, wie weit sie es nach rein menschlichen Denkmustern sonst auch gebracht haben mögen. Nicht selten lässt Er solche Menschen bereits zu ihren Lebzeiten von ihrem selbsterrichteten “Thron” stürzen - dem strengen und unbestechlichen Tribunal der Geschichte kann man kaum entkommen!
Wie trostreich und letztendlich zutiefst beglückend, unterstrichen zu bekommen, dass Gott sich durch nichts und niemand korrumpieren lässt, dass Er immer und ohne Ausnahme das Recht Recht und das Unrecht Unrecht sein lässt. Er steht zu Seinem Wort und zu Seiner Zusage - darauf können wir immer bauen! - und wechselt eben nicht von Zeit zu Zeit plötzlich “die Fronten”, um hinterlistig und rücksichtslos nur Seinen eigenen Vorteil zu suchen und zu sichern.
Auch findet bei Ihm jeder einen echten Trost bzw. moralisch eine sichere Zuflucht, der sich vor Ihm (wie Maria selbst) für klein und eigentlich unbedeutend hält - diese Seelen werden von Gott zu himmlischen Höhen emporgehoben! Denn wer sich vor Gott als klein und arm erkennt, wen es aufrichtig nach der Liebe Gottes hungert bzw. nach der höheren Gerechtigkeit dürstet, der erweist sich als sehr wohl formbar in den Händen Gottes und kann dann mit Hilfe der heilenden und unterstützenden Gnade Gottes sowohl durchaus weit den geistigen Berg Gottes erklimmen als auch vielfältige Frucht für das Himmelreich einfahren - egal, wie sehr auf ihm vielleicht die Menschen “herumtrampeln”!
Wer sich aber für etwas Besonderes hält und von seiner eigenen Person eingenommen ist, der bietet ja Gott in seinem Herzen keinen Platz an (weil es ja von seinem aufgeblasenen Ego okkupiert ist) und wird am Ende geistig doch leer ausgehen, wie viele irdische Reichtümer er sonst auch angesammelt haben mag. Bei Gott zählen eben weder menschliche Maßstäbe noch irdisch-verkehrte “Ideale”!
So hat Er ja auch Abraham und den Vätern des Alten Bundes die Verheißung gegeben, immer Seinem Volk beizustehen, es in allen Widerwärtigkeiten zu beschützen und gegen alle rein menschliche Vorstellungskraft seiner wahren Bestimmung, dem Gelobten Land des Überirdischen, zuzuführen. Maria hat ja zuvor vom Erzengel Gabriel erfahren, dass ihr Kind “Sohn des Allerhöchsten” (Lk 1,32) bzw. “Sohn Gottes” (Lk 1,35) sein wird. Nun ist sie sich dessen bewusst, dass endlich die wahre Gnadenzeit des prophezeiten und von den Frommen heißersehnten Messias beginnt und somit die eigentliche Bestimmung des (alttestamentarischen) Volkes Israel seine Erfüllung findet, indem nämlich ihr Kind, der göttliche Erlöser, geboren und die Menschen von der geistigen Gefangenschaft der Sünde und Gottesferne befreien wird. So lobpreist sie voller Dankbarkeit diese Treue Gottes zu Seinem Volk: “Angenommen hat Er sich Israels, Seines Knechtes, eingedenk Seines Erbarmens mit Abraham und seinen Nachkommen auf ewig, wie Er unseren Vätern verheißen.” So flößen diese Worte der Muttergottes auch uns tiefes Vertrauen in das geheimnisvolle Wirken Gottes im Lauf der Geschichte ein - auch heute wird Er zu Seinem Wort stehen und alles schlussendlich doch zu unserem Besten lenken!
■ Zeigt uns denn Maria hier nicht den eigentlichen Schlüssel, mit welchem wir die Tür zum Himmelreich, der höheren Gerechtigkeit Gottes und der innigen Gemeinschaft mit Ihm, finden können? Öffnet sie uns mit diesem Magnificat-Gesang nicht den Pfad, welchen wir gehen sollten, um Gott in unserem Leben wirklich zu begegnen und an Seiner beseligenden Wahrheit teilzuhaben? Wie sehr muss sie selbst den Herrgott gekannt und die beglückenden Geheimnisse des Himmelreiches verinnerlicht haben! Wie intensiv und höchst bereichernd muss doch ihr eigenes Glaubensleben gewesen sein, dass sie dadurch unter anderem auch in die Lage versetzt wurde, ein solches wunderbares Jubellied der Gnade und Barmherzigkeit Gottes anzustimmen!
Wer also tapfer dem herausragenden Lebensbeispiel Mariens folgt und sich durch ihre entsprechenden Instruktionen wirksam anleiten lässt, der wird in der Folge auch in die Lage versetzt, in solche geistigen bzw. mystischen Regionen der Gottesbeziehung vorzudringen, die ihm sonst wohl verschlossen blieben. Daher erweist sich Maria für uns sowohl als gereifte Lehrerin in Fragen der göttlichen Weisheit als auch als erfahrenste Seelenführerin. Wer ihr folgt, geht nicht in die Irre, sondern beugt allen Versuchungen, die der sittlichen Schwäche der menschlichen Natur entspringen, effektiv vor und macht in seinem geistlichen Leben immer einen nennenswerten Schritt auf ihren göttlichen Sohn Jesus Christus zu!
So hat sich in der katholischen Kirche im Lauf der Jahrhunderte ein bekanntes Grundprinzip der Marienverehrung gebildet, welches klar die entscheidende Richtung umschreibt: “Durch Maria zu Jesus!” (Daran ist weder etwas verdächtig noch gefährlich noch für den Glauben schädlich. Es ist eigentlich sogar absurd, solches überhaupt zu befürchten!)
Denn wer Maria so verehrt, wie es die katholische Kirche authentisch lehrt und wie uns die hl. Jungfrau sowohl mit ihren Worten als auch den eigenen Taten selbst anleitet (was diese Ausführungen auf der Grundlage der biblischen Stellen hoffentlich zu erkennen helfen), der kommt praktisch unweigerlich dem hohen Ideal der christlichen Vollkommenheit und echten Gotteskindschaft näher und wird so immer zu Jesus geführt! Umso mehr erahnt er dann auch die Tiefe der wunderbaren Geisteshaltung Mariens und stimmt auch selbst voll Herzensfreude und innerer Überzeugung in ihren Jubelgesang ein: “Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland”!
Wie dieses “Magnificat”-Gebet täglich im Göttlichen Offizium (dem Breviergebet des Klerus) vorkommt (in der Vesper), so wäre es jedem Christenmenschen zu empfehlen, die entsprechenden herrlichen Worte der Muttergottes wenigstens von Zeit zu Zeit im betrachtenden Gebet zu verinnerlichen. Dadurch können wir in unserem Glaubensleben, der Gottesbeziehung, nur profitieren, das wird uns geistig zweifelsohne weit voranbringen.
Der Psalm 88 beginnt mit den folgenden ergreifenden Gebetsworten: “Misericordias Domini in aeternum cantabo; in generationem et generationem annuntiabo veritatem tuam in ore meo - Die Huld des Herrn will ich allzeit besingen; von Geschlecht zu Geschlecht Deine Treue künden mit vollem Mund”! Mit diesen Worten kann man zutreffend die religiöse Grundhaltung Mariens umschreiben, dies kann als ihr Lebensmotto bzw. -programm angesehen werden. Sie ist ganz in der Liebe und Gnade Gottes aufgegangen und hat es Ihm dann mit ihrer edelsten Anbetung gewissermaßen “zurückerstattet”!

P. Eugen Rissling

 

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